[deutsch] – Yuli Riswati aus Indonesien arbeitete etwa zehn Jahre lang als Hausangestellte in Hongkong. Ab Sommer 2019 dokumentierte sie zudem die Bewegung gegen das Auslieferungsgesetz auf einer von ihr gestarteten Website (http://migranpos.com). Im September wurde sie verhaftet, angeblich weil sie ihr Arbeitsvisum nicht fristgerecht verlängert hatte. Normalerweise hätte das Visum jedoch im Nachhinein verlängert werden können, zumal ihre Arbeitgeberin sie weiter beschäftigen wollte – nicht so bei Yuli. Nach einigen Wochen Abschiebehaft wurde sie Anfang Dezember nach Indonesien abgeschoben. Sie selbst führt die Abschiebung auf ihr Engagement im Rahmen der Bewegung zurück. Das folgende Interview von Ralf Ruckus wurde Anfang Februar 2020 gemacht. Unter dem Interview sind weitere Artikel mit Informationen zu Yuli Riswati verlinkt.
RR: Die fünf Forderungen der Bewegung in Hongkong drehen sich um Polizeirepression und freie Wahlen. Die Situation von Hausangestellten werden nicht thematisiert. Du hast dennoch an Veranstaltungen der Bewegung teilgenommen und sie dokumentiert. Warum hast Du damit angefangen?
YR: Ich habe Anfang Juni 2019 begonnen, über die Geschehnisse in Hongkong, also die Bewegung gegen das Auslieferungsgesetz, zu berichten. Damals organisierten die Leute in Hongkong Großdemonstrationen und trugen noch weiße Kleidung. [Seitdem tragen die Protestierenden schwarze Kleidung.] Ich war gerade auf dem Weg von Sham Shui Po nach Causeway Bay und steckte mit weiteren Hunderten von Leuten in der U-Bahnstation fest. Mich hat das irritiert, denn es ist nicht normal, so lange festzustecken. Stunden später kam ich in Causeway Bay an und habe die Demonstration gesehen. Inmitten der Menschenmassen steckten Autos fest, was sonst auch nicht passiert. Ich habe die HongkongerInnen um mich herum gefragt, was vor sich geht. Ich dachte dann, dass andere migrantische Hausangestellte aus Indonesien bestimmt auch irritiert waren und genauso wie ich mehr Informationen bräuchten. Deshalb fühlte ich mich verpflichtet, über die Geschehnisse zu berichten und Informationen zu teilen. Ich persönlich wollte die Bewegung unterstützen oder mich engagieren, aber ich war mir bewusst, dass meine Stellung das nicht erlaubte. Deshalb habe ich in meiner Rolle als Journalistin Informationen und Fakten mit meiner Community geteilt.
Du bist zu Demonstrationen gegangen, hast Fotos gemacht und mit TeilnehmerInnen gesprochen. Welche positiven oder negativen Reaktionen hast Du als ausländische Hausangestellte erfahren?
Als Ausländerin falle ich bei den Demonstrationen natürlich als migrantische Hausangestellte anderer Hautfarbe mit Hijab auf, und oft begegnete ich Hohn und Misstrauen, sowohl von prodemokratischen wie auch von regierungsnahen Demonstrierenden. Einige Demonstrierenden waren mir gegenüber jedoch herzlich und freundlich, als sie erfahren haben, dass ich Journalistin bin und mich als Ausländerin für die Bewegung interessiere. Sie waren sehr bemüht, Auskünfte auf meine Fragen zu geben.
Was hat Deine Arbeitgeberin gesagt, als du anfingst, zu den Demonstrationen zu gehen?
Anfangs wusste meine Arbeitgeberin nichts davon. Ich ging nur an meinen freien Tagen los, um über die Demonstrationen zu berichten. Als sie davon erfuhr, hat sie mich daran erinnert, vorsichtig zu sein und mich von den Gegenden, wo die Demonstrationen stattfinden, fernzuhalten.
Wie hast Du Deine tägliche Arbeit für die Arbeitgeberin mit Deinen Aktivitäten im Rahmen der Bewegung koordinieren können?
Ich habe versucht die Hausarbeit bzw. die Aufgaben, die ich als Hausangestellte erledigen muss, so gut wie möglich und zur Zufriedenstellung meiner Arbeitgeberin zu machen. Zwischendurch und immer, wenn ich konnte, zwackte ich mir was ab von der Zeit, die ich habe, um mich auszuruhen, um die Entwicklungen in den lokalen und internationalen Medien und in den Telegram-Gruppen zu verfolgen.
Haben außer Dir noch andere Hausangestellte an den Demonstrationen teilgenommen?
Anfangs, als die Demonstrationen noch friedlich verliefen, nahmen einige migrantische Hausangestellte an den Demonstrationen teil. Aber als die Demonstrationen dann täglich stattfanden und es zu Zusammenstößen kam, ging keine der migrantischen Hausangestellten mehr zu den Demonstrationen.
Was sagten Deine FreundInnen über deine Beteiligung an der Bewegung?
Der Großteil von ihnen fand das nicht gut und dachte, was ich tue ist gefährlich und dass meine Aktivitäten nicht nur mir, sondern auch ihnen schaden würden. Aber es gab auch einige, die mich unterstützten und ermutigten weiterzumachen, weil sie die Nachrichten und Informationen, die ich teilte, nützlich fanden.
Welche anderen Reaktionen bekamst Du auf deine Online-Berichte über die Bewegung?
Die meisten warteten auf neue Nachrichten und Informationen, aber sie haben sich nicht getraut, öffentlich Kommentare zu posten, weil sie nicht den Eindruck vermitteln wollten, dass sie sich in die Politik des Empfängerstaats Hongkong einmischen. Ein kleiner Teil reagierte höhnisch und feindete mich an, weil sie fanden, dass ich mir zu viel herausnahm, indem ich über die Demonstrationen oder politische Dinge in Hongkong berichte.
Die Behörden ließen Dich verhaften, und Du warst mehrere Wochen lang in Abschiebehaft. Warum wurdest Du verhaftet, und wie hat Deine Arbeitgeberin reagiert?
Der Grund für meine Festnahme war, dass ich meine Aufenthaltsdauer überschritten hatte. Meine Arbeitgeberin war überrascht. Sie hat mich unterstützt und wollte mir helfen, mein Visum zu verlängern.
Was hast Du in der Abschiebehaftanstalt erlebt, und wie haben Dich die Wärterinnen behandelt?
Die Situation während der Abschiebehaft war sehr unangenehm. Es war schlimmer als im Gefängnis. Es gab keine Möglichkeit zu beten, und die gesundheitliche und medizinische Versorgung war unzureichend. Ich bin deshalb während der Haft krank geworden. Die Wächterinnen haben mich jedoch besser behandelt als andere, die dort in Haft waren.
Nach Deiner Festnahme und Abschiebung Anfang Dezember hat es in Hongkong Solidaritätsproteste zu Deiner Unterstützung gegeben. Welche Reaktionen gab es da von indonesischen Hausangestellten in Hongkong?
Die Reaktionen von indonesischen ArbeitsmigrantInnen waren zweigeteilt. Diejenigen, welche die Regierung Hongkongs und Indonesiens unterstützen, sind verärgert. Sie sagen, ich wäre unverschämt. Obwohl es meine eigene Schuld wäre, dass ich meine Visumsdauer überschritt, würde ich dazu nicht stehen. Ich würde mich sogar zum Opfer machen und anderen Menschen Ärger bereiten. In den sozialen Medien werde ich von denen gemobbt. Andere MigrantInnen kennen und verstehen jedoch die Situation rund um die Demonstrationen und die Bewegung sowie auch das, was mir widerfahren ist. Von denen erhalte ich Zuspruch.
Ausländische Hausangestellte unterstehen in Hongkong nicht dem Arbeitsrecht wie die Einheimischen, sie werden unterhalb des für diese geltenden Mindestlohns bezahlt und sie müssen bei ihren ArbeitgeberInnen wohnen und dürfen keine eigene Wohnung mieten. Was denkst Du über diese rechtliche Stellung der ausländischen Hausangestellten in Hongkong, und wie kann sie verbessert werden?
Auf der einen Seite erkennt die Hongkonger Regierung durch die rechtlichen Regelungen die Existenz der migrantischen ArbeiterInnen an, auf der anderen Seite diskriminiert sie diese durch Regelungen, welche die migrantischen Hausangestellten stark einschränken und in eine Lage bringen, in der sie keine Wahlmöglichkeiten haben und letztlich der Unterdrückung und Ausbeutung durch die ArbeitgeberInnen ausgesetzt sind. Die rechtliche Situation kann sich verbessern, wenn die Hongkonger Regierung bereit ist zuzuhören, sich mit den Bedürfnissen der migrantischen Hausangestellten auseinanderzusetzen und sie und ihre Community anzuerkennen. Schließlich leisten sie einen großen Beitrag für den ökonomischen Fortschritt und die Entwicklung der Stadt.
Du hast in Hongkong viele Jahre lang als Hausangestellte gearbeitet. Wie würdest Du die Arbeit beschreiben?
Die Arbeit als migrantische Hausangestellte ist meiner Meinung nach schwer. So wie bei Tätigkeiten in anderen Sektoren, wird von den migrantischen Hausangestellten verlangt, dass sie spezielle Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen und professionell arbeiten. In dem Sinne gibt es keinen Unterschied zwischen der Arbeit einer Hausangestellten und der Arbeit im Büro. Die migrantischen Hausangestellten in Hongkong müssen jedoch an dem Ort wohnen, an dem sie arbeiten. Wir haben eine Doppelbelastung, und es gibt keine Begrenzung unserer Arbeitszeit. Was ich mit Doppelbelastung meine ist, dass wir nicht nur die Last der alltäglichen Arbeit tragen, sondern auch eine emotionale Last. Das Verhalten der Familien unserer ArbeitgeberInnen hat Einfluss auf unsere Psyche, insbesondere wenn die ArbeitgeberInnen nicht gut mit uns umgehen. Außerdem sind die meisten migrantischen Hausangestellten Frauen, Mütter und zugleich Hauptversorgerinnen ihrer Familien. Sie tragen also auch noch die emotionale, psychologische und ökonomische Last ihrer Familien in den Herkunftsländern. Kurz gesagt, die Arbeit als migrantische Hausangestellte ist schwer, und nicht alle sind stark genug, um diese Art der Arbeit auszuhalten. Was die Arbeit schlecht macht, sind die Sichtweisen und die stigmatisierende Bewertungen durch andere sowie die Bedingungen, mit denen die migrantischen Hausangestellten umgehen müssen. Keine würde als Hausangestellte arbeiten, wenn es eine bessere Arbeit geben würde, um die eigenen und familiären ökonomischen Bedürfnisse zu erfüllen.
Fast alle Hausangestellten in Hongkong sind Frauen. Was denkst Du darüber?
Dass keine Männer für diese Arbeiten angestellt werden, hängt mit genderbasierten Diskriminierungen zusammen. Der Großteil der Menschheit betrachtet die Arbeit im Haushalt als eine Arbeit, die von Frauen verrichtet werden sollte, während Männer ‚männliche‘ Arbeit verrichten sollten, also Büroarbeit oder ‚schwere‘ Arbeit, die außerhalb des Haushalts verrichtet wird, wie zum Beispiel die Arbeit als Chauffeur, Gärtner, Bauarbeiter oder Fabrikarbeiter.
Du bist aus der Abschiebehaft heraus direkt nach Indonesien abgeschoben worden. Wie geht es Dir dort, und willst Du dort bleiben und eine Arbeit suchen?
Es geht mir jetzt besser. Ich werde in einem Krankenhaus in Indonesien behandelt. Ich möchte hier arbeiten, um meine Familie zu versorgen, und ich möchte mich als Sozialarbeiterin oder Aktivistin engagieren, um migrantische Hausangestellte zu unterstützen, die im Ausland oder auch in Indonesien Schwierigkeiten haben. Ich schreibe weiterhin für die Webseite Migran Pos, gemeinsam mit dessen Team. Ich will was dazulernen, weiterhin journalistisch tätig sein und auch über die Bewegung und die Neuigkeiten in Hongkong berichten. Ich möchte über Themen schreiben, über die ArbeitsmigrantInnen und auch andere IndonesierInnen Bescheid wissen sollten. Diese Woche habe ich zum Beispiel über die Diskussionen um den Coronavirus in Hongkong berichtet, über den Aufruf der Regierung [dass Hausangestellte an ihrem freien Tag zuhause bleiben sollen] und die Reaktionen von MigrantInnenorganisationen [welche diese Forderung als diskriminierend zurückweisen].
Einige Artikel zu Yuli Riswati:
Hong Kong deports writer and migrant worker Yuli Riswati. Yuli’s story must not become a mere footnote in Hong Kong’s struggle for liberation: https://lausan.hk/2019/hong-kong-deports-writer-and-migrant-worker-yuli-riswati/
Immigration officials deport Indonesian domestic worker who covered Hong Kong protests as a citizen journalist and was arrested for overstay: https://www.scmp.com/print/news/hong-kong/society/article/3040288/immigration-officials-deport-indonesian-domestic-worker-who
Deported Indonesian domestic worker claims Hong Kong authorities made her strip in front of male doctor. Yuli Riswati recalls ‘humiliating’ experience after spending 29 days in detention for overstaying her visa: https://www.scmp.com/print/news/hong-kong/politics/article/3041097/deported-indonesian-domestic-worker-claims-hong-kong
More Hong Kongers must speak out for migrants’ rights. Hong Kong’s treatment of Yuli Riswati is a call for all of us to do better: https://lausan.hk/2019/hong-kong-yuli-riswati-migrants-rights/
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