Wirtschaftliche Zugeständnisse in Reaktion auf die Bewegung in Hongkong?

von Ralf Ruckus


[deutsch | english | português] – Die Regierung Hongkongs setzt bisher vor allem auf repressive Maßnahmen gegen die Massenbewegung, aber kürzlich haben chinesische Staatsmedien begonnen, eine Änderung der Wohnungspolitik der Stadt zu fordern – möglicherweise ein erstes Zeichen für wirtschaftliche Zugeständnisse in Reaktion auf den Druck ‚von unten‘.

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Die Wirtschaft Hongkongs, bereits durch den Handelskrieg zwischen China und den USA angeschlagen, spürt die Auswirkungen der Protestbewegung.[1] In den letzten Monaten sind die Immobilienpreise gefallen,[2] ebenso die Einzelhandelsumsätze und die Zahl von Tourist*innen (was zu weniger Passagieren an den Flughäfen führte,[3] einer geringeren Auslastung und fallenden Preisen in Hotels usw.),[4] das durchgehende Frachtaufkommen aus China ist zurückgegangen,[5] die Börse hat sich schlecht entwickelt und die Ratingagentur Moody‘s hat Hongkong heruntergestuft mit Hinweis auf „das steigende Risiko, dass die andauernden Proteste eine Erosion der Stärke der Institutionen von Hongkong offenbaren […] und die Kreditgrundlagen Hongkongs untergraben, indem sie die Anziehungskraft der Stadt als Handels- und Finanzdrehscheibe beeinträchtigen“.[6] U-Bahnstationen der MTR wurden mehrmals geschlossen, Anfang Oktober gar alle Linien, was das Pendeln der Beschäftigten störte, und etliche Einkaufszentren und viele Geschäfte mussten während oder nach Zusammenstößen schließen.

Alles in allem schädigt die rebellische Bewegung in Hongkong die Entwicklung der Wirtschaft, und sie stellt auch den Status der Stadt als finanzielle Drehscheibe für Kapitalimporte und -exporte Chinas in Frage. Das KPCh-Regime will jenen Status immer noch erhalten, gleichzeitig jedoch irgendwelche politischen Reformen oder das Zugeständnis einer ‚Autonomie‘ der Stadt vermeiden. Wie will es also die Konfrontation in Hongkong in den Griff kriegen?

In der Tat gibt es einige Ähnlichkeiten mit sozialen Kämpfen in China. Zunächst gibt es keine formalen Anführer, Vertreter oder Organisationen, mit denen das Regime sprechen könnte, um ‚einen Deal zu machen‘. In China wird jede formale Führung oder Organisation, die sich nicht von der KPCh kontrollieren lässt, unterdrückt. Das Regime kann lediglich Formen von Repression und Zugeständnissen anwenden und hoffen, dass sie funktionieren und die soziale Unruhe befrieden. In Hongkong entschied die Bewegung, keine formalen Anführer oder Organisationen zu haben aus Angst vor Repression (wie während und nach der Regenschirmbewegung 2014).

Dies ist ein Dilemma für die Regierung Hongkongs und das KPCh-Regime, weil ohne Verhandlungen mit einer legitimierten Vertretung von Protestanführern oder Organisationen[7] und eine irgendwie geartete Vereinbarung bleiben ihnen nur zwei einseitige Maßnahmen: Repression und/oder wirtschaftliche Zugeständnisse.

Repression ist in Hongkong – wie in China – bisher die wichtigste Maßnahme gewesen, abgesehen von der zugestandenen Rücknahme des Auslieferungsgesetzes (ein geringfügiges Zugeständnis, wenn wir bedenken, was mittlerweile auf dem Spiel steht).
Wirtschaftliche Zugeständnisse und die Verbesserung der Lebensbedingungen hat das KPCh-Regime bei sozialen Kämpfen wie Streiks in China mitunter angeboten. Während Streikorganisator*innen und Gruppen, die Arbeiterkämpfe unterstützen, streng kontrolliert, verhaftet und bestraft werden, wenn sie als Bedrohung gesehen werden, hat das KPCh-Regime Lohnerhöhungen und andere Verbesserungen erlaubt oder gar eingefädelt, zum Beispiel für die Hunderte Millionen Arbeitsmigrant*innen – wenigstens bis vor ein paar Jahren, als das wirtschaftliche Abbremsen die Bereitschaft und die Fähigkeit des Regimes, wesentliche wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, einschränkte.

In Bezug auf Hongkong haben chinesische Staatsmedien in der Tat kürzlich begonnen, die Rolle der reichen Immobilienmagnate Hongkongs zu kritisieren,[8] und die Regierung Hongkongs hat tatsächlich über eine Änderung seiner Wohnungsbaupolitik gesprochen.[9][10]

Die Mieten – und die immense Lücke zwischen Einkommen und Wohnkosten in der Stadt – sind einer der Gründe, warum so viele Menschen in Hongkong mit ihrer Situation und dem politischen System unzufrieden sind. Ein Angriff auf die Magnate und ihre Familienunternehmen, die große Teile der Wirtschaft in Hongkong kontrollieren, wäre eine große Veränderung, denn die Magnate haben bisher mit den politischen pro-Beijing Kräften der Stadt und der KPCh-Führung selbst kollaboriert.[11]

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Bewegung in Hongkong einigen Druck ‚von unten‘ produziert, der eventuell zu wirtschaftlichen Zugeständnissen führen kann. Selbst wenn das KPCh-Regime allerdings entscheidende Schritte unternehmen und die Regierung Hongkongs zwingen sollte, eine sozialere Wohnungspolitik zu betreiben, würde es wahrscheinlich Jahre dauern, bevor die Menschen in der Stadt in den Genuss irgendwelcher Verbesserungen kämen.

Ob solche Zugeständnisse zu politischer Unterwerfung führen würden (wie vom KPCh-Regime erwartet), ist ohnehin zu bezweifeln.[12